Zeitdruck

Die Folgen der von uns ausgelösten Umweltveränderungen – die meisten davon haben mit dem derzeitigen Klimawandel zu tun – sind schon heute vielfältig und dramatisch. Doch in Zukunft könnte es noch viel schlimmer werden. Warum ist das so?

Je mehr Plastikmüll in die Weltmeere gelangt, desto mehr Lebewesen werden diesen nicht von ihrer gewohnten Nahrung unterscheiden können. Je stärker die Schwermetallkonzentrationen in Flüssen ansteigen, desto mehr Flussabschnitte werden unbewohnbar – das leuchtet ein und sollte Motivation genug sein, unsere Rolle in der Geschichte dieses Planeten zu überdenken. Die gefährlichste von uns ausgelöste Umweltveränderung – die Erwärmung der untersten Atmosphärenschicht – verhält sich allerdings ganz besonders und ist genau deswegen so gefährlich. Auch hier werden die schon heute sichtbaren Folgen (das Ansteigen des Meeresspiegels, die Zunahme von Extremwetterereignissen oder die Wüstenbildung) bei gleichem Handeln der Menschheit immer weiter zunehmen – allerdings nicht linear, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, sondern näherungsweise exponentiell. Würden wir die Atmosphärenchemie in den kommenden Jahrzehnten also noch einmal so stark verändern wie in den vergangenen, wird der Effekt nicht der Gleiche sein, den wir in der Rückschau beobachten können. Er wird deutlich stärker ausfallen.

Hintergrund dieses Effekts sind sogenannten Rückkopplungen. Das Klimasystem unseres Planeten ist deutlich komplizierter, als es den Großteil der Wissenschaftsgeschichte angenommen wurde, und auch heute haben wir es noch nicht vollständig verstanden. Die Eigenschaft, die schnelle Klimaveränderungen so gefährlich macht, verstehen wir allerdings ziemlich gut und schon seit über 100 Jahren: Erwärmen wir (wie in unserem Fall) die Atmosphäre, sorgen Effekte dieser Veränderung dafür, dass sich die Atmosphäre noch einmal zusätzlich erwärmt – der Klimawandel verstärkt sich selbst. Es wird also dadurch, dass es wärmer wird, noch wärmer. Zwei Beispiele sollen diese Rückkopplungen verdeutlichen:

Permafrostboden: In besonders kalten Regionen der Erde bilden sich dauerhaft gefrorene Böden, sogenannte Permafrostböden. Sie nehmen ein Viertel der Landfläche oberhalb des Äquators ein und sind bis zu einem Kilometer dick. In diesen Böden ist Kohlenstoff gespeichert, der nun durch steigende Temperaturen und das Tauen der Böden in Form von Methan oder Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre freigesetzt wird. Diese Treibhausgase verstärken die derzeitige Klimaerwärmung, was zu einem noch stärkeren Tauen der Permafrostböden führt, zu noch mehr freigesetzten Treibhausgasen, und so weiter und so fort.

Abschmelzende Eisflächen: Eine wichtige Größe, wenn es um den Energiehaushalt und somit auch die Temperaturen auf der Erde geht, ist die sogenannte Albedo. Sie gibt an, wie stark das Rückstrahlvermögen einer reflektierenden Oberfläche ist, also in unserem Fall, wie stark verschiedene Teile der Erdoberfläche die einfallende Wärmestrahlung reflektieren. Je heller eine Oberfläche, desto größer ist das Rückstrahlvermögen und somit die Albedo. Hier kommen die abschmelzenden Eisflächen ins Spiel: Verwandeln sich weiße Eisflächen in dunkles Wasser, sinkt die Albedo dieser Fläche und weniger Wärmestrahlung wird reflektiert – auf der Oberfläche wird es wärmer. Diese Erwärmung löst ein noch stärkeres Abschmelzen der Eisflächen aus, was zu einer noch geringeren Reflektion führt, und so weiter und so fort.

Solche Rückkopplungen gibt es zahlreiche. Die Klimaerwärmung kann dadurch auch abgebremst werden: Höhere Kohlenstoffdioxidkonzentrationen in der Atmosphäre regen beispielsweise Pflanzenwachstum an, die wiederum CO2 speichern können. Die verstärkende Wirkung, daran besteht kein Zweifel, überwiegt allerdings deutlich.

Wissenschaftler*innen identifizieren seit einigen Jahren sogenannte „Kipppunkte“, die teilweise auf solchen Rückkopplungen aufbauen. Ist dieser bestimmte Punkt in der Entwicklung eines Systems (beispielsweise dem Abtauen einer Eisfläche oder dem Auftauen von Permafrostboden) erreicht, kann der weitere Ablauf der Entwicklung (also das vollständige An- beziehungsweise Abtauen und somit auch der weitere Beitrag zur Erwärmung) nicht mehr aufgehalten werden – selbst wenn alle anthropogenen Einflüsse auf einmal (rein hypothetisch) wegfallen würden. Da es zahlreiche solcher Kipppunkte gibt, warnen einige Studien davor, dass sich das gemeinsame Wirken dieser Systeme zu einer gefährlichen Spirale auswirken könnte: Das Überschreiten von Kipppunkt 1 würde diesem Szenario zufolge eine weitere Erwärmung auslösen, die das Überschreiten von Kipppunkt 2 auslöst, und so weiter und so fort. Auf diesen Vorgängen beruhen die extremen Temperaturerhöhungen, die viele Klimamodelle als Worst-Case-Szenarien angeben, und die für viele Lebewesen auf der Erde tödlich wären. Wir sollten uns davor hüten, dieses Experiment bis zum Ende durchzuführen.

Doch nicht nur diese Eigenschaft unseres Planeten macht die Agenda von BALANCE zu einer derart dringlichen: Unsere Erde definiert zahlreiche Wachstumsgrenzen, die viele Aspekte unserer derzeitigen Lebenswese zwangsläufig scheitern lassen werden. Im nächsten und letzten Artikel wollen wir uns diese näher ansehen.

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