Wachstumsgrenzen

Stellen wir uns einen See vor, der von einer dominanten Tierart bewohnt wird. Diese Spezies entwickelt sich nun durchaus ähnlich zu unserer eigenen: Über einen längeren Zeitraum nimmt die Populationsgröße zu, und die Individuen entwickeln immer höhere Ansprüche. Zwangsläufig wird diese Entwicklung irgendwann scheitern – spätestens, wenn die Nahrungsquellen zu gering werden oder die Größe des Sees schier nicht mehr ausreicht. Genau dieses Problem stellt sich auch der Menschheit, wenn auch in einer ganz anderen Dimension: Wir leben auf einem endlichen Planeten, und zahlreiche Entwicklungen der Gegenwart stehen mit diesem Fakt in Widerspruch.

Die Weltbevölkerung wächst, Menschen aus aller Welt entwickeln immer ressourcenintensivere Lebensmodelle, und die Menschheit als Gesamtes gewinnt immer größere gestalterische Macht über ihren Heimatplaneten – die Entwicklung, die seit einigen Jahrzehnten auf der Erde abläuft, kennt eine klare Richtung. Und doch ist sie zum Scheitern verurteilt: Die Notwendigkeit, ein Projekt wie BALANCE einer Transformation globaler Gesellschaftsformen zu widmen, beruht auf der schieren Notwendigkeit von Veränderungen. Die Existenz verschiedener Wachstumsgrenzen, die in diesem Beitrag näher beleuchtet werden sollen, zwingt die Menschheit dazu, langfristig bestimmte Verhaltensweisen aufzugeben. Diese Verhaltensänderungen werden entweder gezwungenermaßen (zu einem Zeitpunkt, der nur schwer zu bestimmen ist) oder aber freiwillig erfolgen – durch den gezielten Aufbau neuer Lebensmodelle, wie er auf dieser Website skizziert wird.

Wachstumsgrenzen sind der Grund dafür, dass unser heutiger Alltag zum Scheitern verurteilt ist. Sie bilden – neben den Bedürfnissen von immer mehr Menschen auf diesem Planeten – die zweite Seite der Balance, auf die der Titel dieses Projektes abzielt. Die Gesellschaftsformen, die im Blog vorgestellt werden, sollen dazu beitragen, langfristig eine menschliche Zivilisation auf diesem Planeten zu ermöglichen, ohne die angedeuteten Wachstumsgrenzen zu überschreiten.

Im Detail steht die jüngere Geschichte mit zahlreichen natürlichen Gegebenheiten im Widerspruch:

Fläche der Erde: Menschliche Aktivitäten beanspruchen immer mehr Fläche. Mit der steigenden Weltbevölkerung wird beispielsweise immer mehr Ackerfläche benötigt, um Landwirtschaft betreiben zu können. Bemühungen, mehr Ertrag pro Quadratmeter zu erzielen, können den Anstieg dabei nur abschwächen und nicht stoppen. Schon heute fällt die Suche nach geeigneten Flächen schwer (was an den Zerstörungen und Fragmentierungen wichtiger Ökosysteme und Lebensräumen anderer Lebewesen zu erkennen ist). Ab einem bestimmten Punkt können keine neuen Flächen mehr generiert werden und nicht mehr Ertrag pro Fläche erzielt werden.

Ressourcenvorkommen: Die moderne Zivilisation basiert auf der Nutzung und Umwandlung von immer mehr Ressourcen. Der Bedarf steigt einerseits mit der steigenden Weltbevölkerung, andererseits mit steigendem Wohlstand in vielen Regionen der Erde. Solange wir allerdings keine geschlossenen Stoffkreisläufe entwickelt und implementiert haben, nehmen die Vorkommen all dieser Ressourcen ab. Nun kann darüber diskutiert werden, ob eine einzelne Ressource bei ähnlicher Nutzung noch 50, noch 100 oder noch 500 Jahre verfügbar wäre – Fakt ist, dass sie es langfristig nicht ist. Ab einem bestimmten Punkt ist jede endliche Ressource, die nicht zu einhundert Prozent wiederverwendet wird, aufgebraucht.

Natürliche Gegebenheiten: Über Milliarden Jahre hat sich mit der Erde ein Ort entwickelt, der einzigartige Voraussetzungen für Leben bietet. Auch wir als Menschheit profitieren davon und sind sogar von ihnen abhängig. In den vergangenen Jahrzehnten stieg die Macht, in solche natürlichen Sphären einzugreifen, stetig an: Wir verändern die Chemie und Zusammensetzung der Atmosphäre, wir verschmutzen überlebenswichtiges Trinkwasser und stören Stoffkreisläufe. Auch dieses Wachstum – der wachsende Einfluss auf natürliche Prozesse und Gegebenheiten – ist endlich: Verändern wir sie zu stark, kann die ursprüngliche und lebensnotwendige Funktion nicht mehr ausgeführt werden. Würde die Atmosphäre (theoretisch) viele weitere Jahrzehnte mit der heutigen Menge an Treibhausgasen verändert, wäre eine Klimaveränderung die Folge, die menschliche Zivilisation an vielen Orten der Erde kaum noch möglich macht. Dünnen wir die Ozonschicht stark genug aus, wären die Folgen ebenfalls tödlich. Ab einem bestimmten Punkt greifen wir so stark in natürliche Prozesse ein, dass sie ihre angestammte Funktion verlieren.

Glück (Kognitive Ebene): Eigentlich müsste es das grundlegende Ziel sein, ein menschliches Lebensmodell zu entwickeln, das möglichst vielen Menschen ein erfülltes Leben bietet. Während viele Entwicklungen der Menschheitsgeschichte dazu beigetragen haben, dieser Utopie näher zu kommen (wie wir im Artikel zur Wohlstandsillusion gesehen haben), zeigt sich in der jüngeren Vergangenheit, dass nicht alle Aspekte unseres modernen, globalisierten Alltags Teil davon sind. Der steigende Wohlstand in bereits hochentwickelten Ländern führt in vielen Fällen nicht dazu, dass die Menschen glücklicher werden. Das weitere Verfolgen heutiger Paradigmen würde also nicht nur (an einem fernen Punkt in der Zukunft) natürliche Grenzen überschreiten und zu Teilzusammenbrüchen der menschlichen Zivilisation führen – es würde auch keinesfalls dazu führen, das Leben der heutigen Generationen besser zu machen. Wir brauchen nicht noch mehr Gegenstände, noch mehr Wohnfläche, noch mehr Reiseziele und noch mehr Streaming-Dienste. Auf materieller Ebene haben wir alles, was wir brauchen.

Wo genau die beschriebenen Wachstumsgrenzen liegen, ist nicht bekannt. Die Weltbevölkerung konnte schon häufig um weitere Milliarden anwachsen und ressourcenintensivere Lebensstile verfolgen, obwohl historische Zeitgenossen das für unmöglich erklärt hatten. Klimawissenschaftler*innen wissen aufgrund komplizierter Rückkopplungseffekte und mangelndem Wissen in einigen Details nicht, wie viel Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen werden können, bis bestimmte Szenarien eintreten. Und genauso unklar ist es, wie viele Menschen in Zukunft ernährt werden können, ohne die Integrität von Ökosystemen zu stark zu gefährden. Klar ist nur, dass in allen Bereichen Wachstumsgrenzen existieren – und wir ihnen teilweise schon sehr nahe sind.

In einhundert Jahren werden Menschen auf diesem Planeten vollkommen anders leben als heute. Die Frage ist nur, ob die Transformation dorthin von den Folgen diktiert wird, die das Überschreiten von Wachstumsgrenzen nach sich zieht – oder aber gezielt gestaltet wird. Genau das ist das Ziel von BALANCE.

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