Wenn über die Ursachen aktueller Umweltprobleme diskutiert wird, gehört die Rolle der Bevölkerungsentwicklung häufig zu den großen Streitpunkten. In diesem Beitrag wollen wir zunächst einige grundlegende Statistiken betrachten, die sich um das Wachstum und die Zukunft unserer Bevölkerungskurve drehen, und im Anschluss diskutieren, welche Rolle diese Entwicklungen für die Gesellschaftssysteme der Zukunft spielen.
Tick. Zwei Menschen mehr. Tick. Vier Menschen mehr. Tick. Noch ein Mensch. Plus drei. Plus fünf. Plus zwei. Tick, tick, tick. Die sogenannte „Weltbevölkerungsuhr“ zeigt eindrucksvoll, in welche Richtung eine der wichtigsten Entwicklungen unserer Spezies verläuft: Unsere Bevölkerungszahl steigt, und das rasant. Sekunde für Sekunde wächst die Zahl weiter, im Schnitt kommen derzeit 2,6 Menschen pro Sekunde dazu. Im Jahr 2020 leben mehr als 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde – nie zuvor in der Geschichte sind es so viele gewesen.
Betrachten wir die einfachste und bekannteste aller Grafiken zur Bevölkerungsentwicklung, sehen wir uns mit einer exponentiellen Kurve konfrontiert, deren Anwachsen kaum aufzuhalten scheint:

Vorsichtige Rekonstruktionen schätzen die Zahl der Menschen gegen Ende der letzten Eiszeit (vor etwa 12.000 Jahren) auf etwa 5 Millionen – eine Bevölkerung, die wir heute allein in Großstädten wie Sankt Petersburg (Russland) oder Atlanta (USA) zählen. Die Fertilitätsraten lagen zu dieser Zeit (nach ebenfalls vorsichtigen Schätzungen) bei weit über fünf Kindern pro Frau; eine hohe Kindersterblichkeit hielt die Weltbevölkerung allerdings auf einem niedrigen Niveau. Im Jahr 0 lebten etwa 200 Millionen Menschen auf der Erde, ehe sich die Zahl bis 1750 auf 800 Millionen vervierfacht hatte. Nun schoss die Kurve endgültig in die Höhe: Die 1-Milliarden-Grenze wurde 1804 überschritten, im Jahr 1927 waren es schon 2 Milliarden. Das Anwachsen um eine weitere Milliarde erfolgte in immer kleineren Zeitspannen: 1960 betrug die Weltbevölkerung 3 Milliarden, vierzehn Jahre später 4 Milliarden und im Jahr 1999 ganze 6 Milliarden Menschen. Heute, im Jahr 2020, ist der Wert auf fast 7,8 Milliarden angewachsen.
Die Analyse von Bevölkerungskurven ist in der Regel simpel, da sie von lediglich zwei Faktoren bestimmt werden: Der Geburtenrate und der Sterberate. Schauen wir uns die Bevölkerungsentwicklung einzelner Länder oder Kontinente an, spielt auch die Migration (also die Bewegung von Menschen von einem Land in ein anderes) eine Rolle. Die oben dargestellte Bevölkerungsexplosion beruht in erster Linie darauf, dass es der Menschheit in mehreren, auf komplizierte Art und Weise miteinander verknüpften Entwicklungsschüben gelungen ist, ihre Lebensbedingungen deutlich zu verbessern. Immer wieder konnte die Lebenserwartung erhöht und die Sterberate somit gesenkt werden. Das Sesshaftwerden des Menschen, die Entdeckung von Ackerbau und Viehzucht sowie der Aufbau von Städten und Handelsnetzen (also frühe Formen der Arbeitsteilung) gehörten zu den ersten Durchbrüchen dieser Art. Vor vielen tausend Jahren führten sie dazu, dass immer mehr Menschen auf einer kleineren Fläche überleben konnten. Im späten zweiten Jahrtausend unserer Zeitrechnung war es eine Reihe von Revolutionen, die der Bevölkerungsexplosion weitere Schübe verlieh: Die Industrialisierung zahlreicher Prozesse, Durchbrüche in der Medizin, technischer Fortschritt und weitere Entwicklungen in der Landwirtschaft, die heute als „Grüne Revolution“ zusammengefasst werden: Durch die Konzentration auf einige wenige, ertragreiche Anbauprodukte und die Einführung von Düngern und Pflanzenschutzmitteln konnte die Nahrungsproduktion drastisch erhöht werden.
Verstärkt wird das Ansteigen der Weltbevölkerung durch ihren exponentiellen Charakter. Nehmen wir an, dass die Zahl an Menschen über einen längeren Zeitraum um einen konstanten Prozentsatz ansteigt, wächst die absolute Zahl nicht linear, sondern exponentiell. Dass die Zahl der Menschen, die um einen bestimmten Prozentsatz wächst, immer weiter ansteigt und somit eine größere Vermehrung in der nächsten Periode ermöglicht, ist ein weiterer Grund für den Verlauf der oben dargestellten Kurve.

Trotz dieser Eigenschaft des zugrundeliegenden Wachstums und dem Fakt, dass die Lebenserwartung noch immer auf allen Kontinenten ansteigt, verändert sich der Verlauf der Weltbevölkerungskurve. Schauen wir uns die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren an, sehen wir kein exponentielles, sondern eher lineares (und sogar leicht abflachendes) Wachstum. Obwohl wir es mit einem exponentiellen Phänomen zu tun haben und die weltweite Sterberate noch immer sinkt, nimmt die absolute Zahl der Menschen also deutlich schwächer zu, als man es zunächst erwarten könnte.

Diese Beobachtung bestätigt sich, wenn wir die Wachstumsrate der Weltbevölkerung hinzuziehen. Diese hatte zwischen 1965 und 1970 ein Maximum von zwei Prozent erreicht, nimmt seitdem allerdings stetig ab. 2010 betrug sie nur noch 1,1 Prozent und hat nach wie vor fallende Tendenz. Der Grund dafür ist simpel und findet sich im zweiten Motor der Bevölkerungsentwicklung: Die globale Geburtenrate nimmt seit Jahrzehnten ab. Während im Zeitraum von 1970 bis 1975 statistisch noch 4,7 Kinder pro Frau geboren wurden, waren es im Zeitraum von 2005 bis 2010 nur noch 2,6 Kinder. 2018 war der Wert sogar auf 2,4 Kinder gesunken. Dieser Trend gleicht den exponentiellen Charakter des Wachstums derzeit in etwa aus, sodass der absolute Anstieg der Bevölkerung in diesen Jahren nicht exponentiell, sondern linear abläuft.

Die beiden in diesem Artikel genannten Entwicklungen – das Sinken der Sterberate, das Sinken der Geburtenrate und der daraus resultierende Verlauf der Bevölkerungskurve – haben mehr miteinander zu tun, als auf den ersten Blick klar wird. Dass sich hinter all den Zahlen ein Prinzip versteckt, wird deutlich, wenn wir die Entwicklung für jeden Kontinent einzeln aufschlüsseln. Schnell zeigt sich, dass auf den verschiedenen Landmassen eine sehr ähnliche Entwicklung durchlaufen wird, wenn auch zeitlich versetzt. Zunächst steigt die Bevölkerung stark (in der Regel exponentiell) an, ehe das Wachstum abflacht und schließlich zum Erliegen kommt. In Europa ist dieser Ablauf bereits vollständig vollzogen, und auch in Amerika und Asien (wo in den vergangenen Jahrzehnten ein Großteil des Bevölkerungswachstums stattgefunden hat) steigt die Zahl der Einwohner*innen nur noch schwach an. Große Teile Afrikas hingegen liegen in dieser Entwicklung mehrere Dekaden zurück und verzeichnen dementsprechend noch heute starkes Bevölkerungswachstum. In Ozeanien ist die Wachstumsquote ebenfalls hoch, was aber eher an der hohen Zahl an Einwanderer*innen liegt.

Die sechs Kontinente durchlaufen ein und dieselbe Entwicklung und befinden sich derzeit lediglich in einem unterschiedlichen Stadium. Schauen wir uns die Entwicklung der Sterbe- und Geburtsraten auf den einzelnen Kontinenten an, wird noch deutlicher, dass die Hintergrundgeschichte ein und dieselbe ist. Ein Modell, das den gesamten Ablauf erklären kann, nennt sich „demographischer Übergang“ und teilt den Prozess in vier Phasen ein: Phase eins setzt ein, wenn die Sterberate deutlich sinkt, die Geburtenrate allerdings zunächst konstant bleibt. Genau das geschah durch all die Durchbrüche und Revolutionen unserer Spezies, die wir uns oben bereits in Kurzform angesehen haben. Das Ergebnis ist eine starke Zunahme der Bevölkerung. Die entsprechenden Fortschritte etablierten sich (zumindest in den letzten Jahrhunderten) zunächst in Europa und Nordamerika, weshalb der gesamte Prozess hier als erstes begann und heute nahezu abgeschlossen ist (was wir am Stagnieren der Bevölkerungszahlen sehen können). Phase zwei wird von sinkenden Geburtenziffern gekennzeichnet, die sich jeweils als Antwort auf die verbesserten Lebensbedingungen beobachten lassen, und resultiert in einem Abflachen des Anstiegs. Wir können diese Entwicklung skalieren, wie wir wollen – der statische Zusammenhang, dass auf gesellschaftliche Fortschritte eine sinkende Geburtenrate folgt, ist offensichtlich und auch auf allen Kontinenten zu beobachten. In Phase drei hat die Sterberate ein konstant niedriges Niveau erreicht und lässt sich nur noch extrem langsam herabsenken (genau das ist in Europa und Teilen Amerikas, Asiens und Ozeaniens der Fall – die Revolutionen, die zu Beginn als Motor des Bevölkerungswachstums fungierten, haben ihre gesamte Wirkung entfaltet), während die Geburtenrate weiter sinkt. In Phase vier haben sich Geburten- und Sterberate auf einem konstant niedrigen Niveau eingependelt, und das Wachstum kommt in der Regel zum Erliegen.
Betrachten wir die Entwicklung der Geburtenrate auf den einzelnen Kontinenten, lässt sich auf das derzeitige Stadium des dargestellten Prozesses schließen:

In einer modernen Gesellschaft mit niedriger Kindersterblichkeit und gleichmäßigem Männer-Frauen-Verhältnis bleibt die Größe einer Bevölkerung konstant, wenn die Geburtenrate bei 2,1 Kindern pro gebärfähiger Frau liegt. Modern bezieht sich in diesem Zusammenhang auf das Entwicklungsstadium, in dem sich die reichsten Gesellschaften in Europa, Nordamerika und Teilen Asiens derzeit befinden. Migrationsbewegungen werden ausgeklammert. Der Wert liegt über zwei, weil zwar sehr viele, aber nicht alle Neugeborenen gebärfähig sind und ein entsprechendes Alter erreichen. In Europa (1,6) und Nordamerika (1,7) liegt die Fertilitätsrate bereits deutlich darunter, was sich in einer starken Altersverschiebung innerhalb der Gesellschaft widerspiegelt (die weiter anhalten wird). Dass die absolute Bevölkerungszahl nicht sinkt, ist auf Migration und das leichte Ansteigen der Lebenserwartung zurückzuführen.
Noch einen Schritt zurück (und damit bei einer Geburtenrate von über 2,1) liegen Lateinamerika, Ozeanien und Asien. Das Bevölkerungswachstum flacht bereits ab, da die Geburtenraten infolge der gewaltigen Fortschritte stark sinken, ist aber noch nicht zum Erliegen gekommen. Aufgrund des exponentiellen Charakters des Wachstums und der hohen Einwohnerzahl ist der derzeitige Anstieg in Asien deutlich größer, obwohl sich die Wachstumsquoten ähneln. Noch in Phase zwei des demographischen Übergangs befindet sich Afrika, wo die gesellschaftlichen Fortschritte erst deutlich später einsetzten (und noch heute nicht abgeschlossen sind). Folglich setzte der Rückgang der Geburtenrate deutlich später und langsamer ein. Auch in Afrika sinkt der Anzahl an Kindern pro Frau, liegt heute aber noch immer bei 4,5. Da die Lebenserwartung gleichzeitig nur langsam steigt, wächst die Weltbevölkerung in Afrika weiterhin stark.
Abgeleitet aus solchen Modellen ist es möglich, Aussagen über die Zukunft der Bevölkerungsentwicklung zu treffen. Es existieren hunderte an Prognosen, die sich zwar allesamt unterscheiden, aber auch identische Tendenzen aufweisen. Unumstritten ist, dass Europa und Nordamerika in diesem Zusammenhang eine geringe Rolle spielen werden, da die Bevölkerungszahlen der Zukunft als konstant oder sogar leicht sinkend eingeschätzt werden. In Lateinamerika, Asien und Ozeanien wird Phase drei des demographischen Übergangs einen weiteren Anstieg der Weltbevölkerung hervorrufen: Das populärste Szenario (erstellt von der UN Population Division) geht davon aus, dass die Bevölkerung in diesen drei Erdteilen um eine weitere Milliarde anwächst (vier Fünftel davon in Asien). Wie viele weitere Milliarden in den kommenden Jahrzehnten hinzukommen, entscheidet sich in Afrika. Hier wird die Bevölkerung weiter in die Höhe rasen, ehe Phase vier des Modells erreicht ist. Wie schnell die Geburtenrate gesenkt und die Lebensbedingungen verbessert werden können, wird sich erst in der Zukunft zeigen und in den verschiedenen Regionen Afrikas ganz unterschiedlich ablaufen. Die UN projiziert, dass die Bevölkerung Afrikas während dieses Prozesses von 1,3 (dem heutigen Wert) auf über 4 Milliarden ansteigen wird.

Unumstritten ist, dass die Weltbevölkerung weiterwachsen wird, ehe sich der Wert auf einem noch unbekannten Niveau einpendeln könnte. Dieser Zustand wäre erreicht, wenn alle Kontinente Phase vier des demographischen Übergangs erreicht haben (und diese noch nach der heutigen Definition funktioniert: Pendelt sich die Geburtenrate in einer modernen Gesellschaft Afrikas beispielsweise bei 3 Kindern pro Frau ein, würde die Bevölkerung weiter steigen). Die UN schätzt, dass 2050 etwa 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Ein niedrigerer Wert erscheint kaum möglich, da insbesondere in Afrika noch viele Schritte zu gehen sind, ehe das Wachstum gestoppt werden kann. Dass sich der Aufbau von Bevölkerungspyramiden infolge einer Wohlstandssteigerung verändert und die neu entstandenen Schichten an der Spitze von unten nach oben aufgefüllt werden, ist ein weiterer Grund für das unvermeidliche Wachstum. Bedacht werden muss weiterhin, dass neue Revolutionen (also Durchbrüche, welche die Lebenserwartung erneut deutlich erhöhen, oder aber opferintensive Katastrophen) die Rechnung durcheinanderbringen könnten. Die Quintessenz aller Szenarien ist allerdings eindeutig: Noch in diesem Jahrhundert wird die Weltbevölkerung mit großer Wahrscheinlichkeit auf mindestens 10 Milliarden Menschen ansteigen – und Gesellschaftssysteme fordern, die darauf eine Antwort finden.
Die Größe der Weltbevölkerung verändert sich, weil sich die Lebensbedingungen der Menschen verändert haben. Wie sich der Alltag eines einzelnen Menschen während dieses langen Prozesses verändert hat, diskutiert der nächste Artikel: Wohlstandsillusion.